Finanzkrise als Kammerspiel

Margin Call

Margin Call

So einfach lässt sich also der Börsecrash von 2008 erklären: In EINER Firma entdeckt EIN Analyst die Anzeichen der bevorstehenden Katastrophe, worauf innerhalb EINES Tages die Weichen für den Zusammenbruch des GESAMTEN Finanzsystems gestellt werden. Das ist zumindest das Bild, das der Film „Margin Call“ vermittelt, der diese Woche in den Kinos anläuft.

Mit seinem Staraufgebot versucht der Film, die menschliche Seite der Wall Street zu zeigen – Gier, Ignoranz, blankes Entsetzen, Verzweiflung sind die Zutaten für dieses Kammerspiel. Leider sind die Charaktere äußerst platt, stereotyp und ohne Entwicklungspotenzial gezeichnet: Hier der gefeuerte Analyst, der wie Kassandra die Katastrophe prophezeit und ignoriert wird (Stanley Tucci), da der Boss, der über Leichen geht (Jeremy Irons), dort der Abteilungsleiter mit den moralischen Skrupeln, der sich letztlich breitschlagen lässt (Kevin Spacey).

Was „Margin Call“ dennoch zu einem sehenswerten Film macht, ist – neben der ästhetischen Darstellung des taumelnden Finanzsystems – die Aktualität und Brisanz des Themas: Wann schon wird ein komplexer Sachverhalt wie die Implosion eines Fantasiezahlensystems so einfach, so spannend und mit so vielen Stars erzählt? Wer aber auf neue Erkenntnisse über die Hintergründe und das Funktionieren dieses Systems hofft, wird das Kino enttäuscht verlassen.

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5 Antworten zu Finanzkrise als Kammerspiel

  1. Diese Finanzkrise sitzt uns allen in den Knochen und es ist irgendwie kein Ende zu sehen.

    Vielleicht kann man den Film in seiner Länge tatsächlich rein als Film genossen werden. Danach wird uns die Realität ohnehin wieder einholen … ob wir wollen oder nicht.

    Danke für den Film Tipp.

    • B.Licht schreibt:

      Sehr geehrte Anja,

      durch die Vorberichterstattung in den Medien bin ich mit zu hohen Erwartungen ins Kino gegangen. Der Film ist spannend, aber hauptsächlich wegen der Andeutungen auf die Katastrophe, die – wie wir wissen – nach dem Ende des Abspanns eintritt. Es ist also keine Leistung des Drehbuchs oder der Regie, diesen Nervenkitzel zu erzeugen.

      Wie gesagt: Der Film ist sehenswert. Nur halt nicht zu viel erwarten.

      MfG, B.Licht

      • Liebes Licht,

        gespannt bin ich aber nun trotzdem oder vielleicht sogar erst recht :). Ich muss mich aber etwas in Geduld üben, denn der Film kommt hier in den USA kurz vor Weihnachten als DVD heraus.
        Ich hab’s aber notiert und freue mich schon auf einen gemütlichen nachweihnachtlichen DVD Abend … wenn ich von meinem DE Besuch wieder zurück bin.

        Happy Holidays

        Anja

      • B.Licht schreibt:

        Liebe Anja,

        wünsche dir ebensolche!

        MfG, B.Licht

  2. missyarvis schreibt:

    Lieber B. Licht!

    Hab den Film ebenfalls gesehen. Das mit „einer Firma, in der ein Analyst einen Fehler entdeckt“ sehe ich nicht als Manko. Erstens dient Lehman Brothers hier als Vorbild – und wir wissen, was mit der Bank passiert ist, zweitens kann man das als Metapher werten und drittens geht es vielmehr um einen strukturellen Missstand, den der Analyst aufdeckt. Hier wird meiner Meinung nach die pervertierte Finanzwirtschaft gut vorgeführt. So habe ich das jedenfalls verstanden.

    Lg, MissY

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